9 Fragen zu Automotive-Erstmusterprüfungen
Wie laufen heutzutage Automotive-Erstmusterprüfungen ab? testxchange sprach mit Alexander Grosch, Laborleiter Automotive Testing bei ASO.
Nachdem wir in einem vergangenen Beitrag bereits einen Überblick zu Erstmusterprüungen im Automotive-Sektor gegeben hatten, möchten wir das Thema heute aus Prüflaborperspektive betrachten. Hierzu hat testxchange neun Fragen an Alexander Grosch, Laborleiter Automotive Testing der Analytik Service Obernburg GmbH (ASO) gestellt:
Herr Grosch, wie standardisiert bzw. wie individuell sind die Bemusterungsanforderungen im Allgemeinen? Wird überwiegend nach einer einfachen (Werks-)Norm geprüft oder muss in der Regel nach vielen individuellen Zusatzanforderungen geprüft werden?
Um die Qualität von Produkten im Automotivebereich nachzuweisen, hat jeder OEM zahlreiche Vorschriften erlassen, die im Rahmen der Erstmusterprüfungen von einem akkreditierten und zum Teil auch vom OEM speziell zugelassenen Labor bestätigt werden müssen. Die Vorgaben sind normalerweise in einer oder mehreren Liefervorschriften definiert. Allerdings gilt eine Liefervorschrift meist für sehr verschiedene Bauteile (z.B. die TL226 von VW allgemein für lackierte Bauteile im Fahrzeuginnenraum). Außerdem können sich je nach Einbauort, Material oder Oberflächenvergütung Unterschiede im Prüfumfang ergeben. Eine Liefervorschrift definiert im Allgemeinen nur, welche Prüfung durchzuführen ist und gibt zum Teil auch Spezifikationen an. Die eigentlichen Prüfungen sind wiederum einzeln in eigenen Prüfvorschriften oder Normen beschrieben. Dieses können wiederum Prüfvorschriften des OEMs sein oder allgemeine DIN- oder ISO-Normen, aber auch Normen vom Verband der Automobilindustrie (VDA).
Wie ist in Ihrem Prüflabor der allgemeine Ablauf von Automotive-Erstmusterprüfungen?
Der Kunde startet seine Anfrage im optimalen Fall mit einer technischen Zeichnung und der Angabe, nach welcher Prüfvorschrift geprüft werden soll. Zusätzlich benötigt das Labor zur Angebotserstellung weitere Angaben zur Orientierung und dem Einbauort im Fahrzeug (z.B. Sichtbereich), sowie eine Definition der wichtigen Oberflächenbereiche. Außerdem ist wichtig, aus welchem Material das Bauteil selbst besteht und ob es lackiert oder metallisiert ist. Der Prüfaufwand ist auch davon abhängig, wie viele Varianten (z.B. unterschiedliche Farben oder Grundmaterialien) zu prüfen sind.
In Abhängigkeit von den Kundendaten werden individuelle Angebote erstellt. Dabei wird geprüft, welche der Prüfungen sinnvoll sind und welche entfallen können, z.B. weil sich das Bauteil nicht im Sichtbereich befindet. Außerdem wird geprüft, inwieweit z.B. aufgrund der Probengeometrie oder Bauteilgröße eine normgerechte Prüfung am Bauteil selbst machbar ist. Alternativ sind spezielle Prüfkörper oder Prüfplatten aus dem entsprechenden Granulat herzustellen und ggf. zu lackieren.
Führt ein breit aufgestellter Prüfdienstleister wie ASO Erstmusterprüfungen in der Regel alleine durch oder kommen mehrere Prüflabore zum Einsatz?
Als Analytik Service Obernburg GmbH (ASO) führen wir die meisten Prüfungen selbst durch. Dazu zählen unter anderem Klimaprüfungen, Bewitterungen, Sonnenlichtsimulation, Lichtechtheit, Abrieb-und Kratz-Prüfungen, diverse Emissionsprüfungen, diverse chemische und physikalische Tests. Der Kunde bekommt also seine Messungen nach unserem Motto: „Alles aus einer Hand“. Sollte trotz des breiten Angebots eigener Testmöglichkeiten eine Prüfung nicht selbst durchgeführt werden können, so steht uns zusätzlich das komplette Portfolio der SKZ-Gruppe zur Verfügung. Daneben organisieren wir derartige Messungen auch bei anderen zugelassenen Prüflaboren und nehmen deren Ergebnisse in den Gesamtabschlussbericht mit hinein.
Was sind die Vorteile Ihres Instituts gegenüber anderen Mitbewerbern?
Neben den reinen Erstmusterprüfungen bieten wir in einem größeren Umfang Schadensanalysen an. Sollte es in einer oder mehreren Prüfungen zu Auffälligkeiten des Bauteils kommen, so haben wir die Möglichkeit, unsere Kunden bei der Ursachenfindung zu unterstützen.
Was war die außergewöhnlichste Erstmusterprüfung, die Sie bei ASO erlebt haben?
Hier würden uns mehrere Aufträge einfallen, allerdings steht es uns nach unserer Akkreditierung gem. DIN EN ISO 17025 und vor allem nach IATF 16949 nicht frei, mit dritten Personen darüber zu sprechen. Geheimhaltung ist für uns und unsere Kunden eine wichtige Voraussetzung.
Was sind im Allgemeinen die größten Herausforderungen bei Automotive-Erstmusterprüfungen?
Die Entwicklungsprozesse neuer Bauteile erfolgen immer kurzfristiger, wobei häufig die für die Erstmusterprüfung nötigen Zeiten bei der Planung vergessen oder unzureichend berücksichtigt werden. Verzögert sich die Vorproduktion durch unvorhergesehene Probleme, so wird es eng. Evtl. können dadurch auch vorreservierte Gerätezeiten verfallen. Gerade wenn lange Klimalagerungen vorgeschrieben sind, ist die Dauer der Analyse allein dadurch vorgegeben und kann nicht reduziert werden.
Normen verschiedener OEMs sind sich häufig ähnlich, unterscheiden sich aber in kleinen Details. Damit ist es zum Teil nicht möglich Untersuchungen für verschiedene OEMs zu bündeln. Problematisch ist auch, dass manche OEMs spezielle Geräte zur Prüfung vorschreiben, sodass unterschiedliche Geräte für verschiedene OEMs vorgehalten werden müssen.
Wie haben sich Erstmusterprüfungen in den letzten 20 Jahren verändert? Was waren aus Ihrer Sicht hier die größten Veränderungstreiber?
Die Erstmusterprüfungen werden von den OEMs definiert und vorgegeben und müssen in qualifizierten Laboren durchgeführt werden. Obwohl diese Labore nach DIN EN ISO 17025 akkreditiert sind und ihre Kompetenz über Vergleichsversuche nachgewiesen wurde, verlangen mehrere OEMs zusätzliche Verfahren, damit die Ergebnisse des Labors anerkannt werden. Zum Teil werden dazu zusätzliche, zum Teil sehr aufwändige Audits des OEMs vor Ort durchgeführt. Nur wenn man sich diesen Prozeduren unterzieht, wird man als Prüflabor zugelassen. Danach kann das Labor aber auch den Vorteil einer zusätzlichen Listung, Freigabe oder Empfehlung nutzen.
Welche Entwicklungen erwarten Sie für die Zukunft der Automotive-Erstbemusterungen? (z.B. veränderte Abläufe, individuellere Anforderungen, stärkere Normierung etc.)
Zum einen erwarten wir, dass die oben beschriebenen Zulassungen durch OEMs weiter zunehmen werden, obwohl eine Akkreditierung nach ISO 17025 eigentlich ausreichen sollte. Zum anderen wird auch die Digitalisierung im Bereich der Erstmusterprüfungen zunehmen.
Ein Trend der letzten Jahre ist, dass in die Bauteile des Fahrzeuginnenraums immer mehr Funktionen integriert werden. Dieses können Beleuchtungen oder einfache optische Anzeigen, aber auch große Displays oder Sensoren sein. Hierdurch nimmt der Anteil der elektrischen Prüfungen zu. Zum Teil reicht eine reine Bestromung aus, zum Teil müssen elektrisch angesteuerte Funktionen aber auch unter Temperatur, Feuchte usw. getestet werden.
Ein anderer Trend ist der Einsatz anderer / neuer Materialien. Zum einen werden deutlich wertigere Oberflächen eingesetzt. Dies bedeutet wiederum mehr und an die Proben angepasste Prüfungen zur chemischen Beständigkeit oder zur Kratzbeständigkeit. Zum anderen ist eine Entwicklung zur Verarbeitung von nachwachsenden Rohstoffen und biobasierten Kunststoffen zu beobachten.
Das Thema Emission und Geruch im Innenraum wird immer wichtiger und die entsprechenden Prüf-Anforderungen sind immer komplexer. Während früher vorrangig die Einzelteile getestet wurden, betreffen die Anforderungen immer öfter zusätzlich ganze Systemeinheiten, die als Ganzes überprüft werden. Entsprechende Prüfungen erfordern eine große Prüfkammer, sowie detailliertes Know-How. Auch wir als ASO stellen uns diesen veränderten Nachfragen und sind dabei, entsprechende Prüfmöglichkeiten bei uns aufzubauen.
Wie schätzen Sie den Einfluss der fortschreitenden Digitalisierung in diesem Zusammenhang ein? Arbeiten Ihre Kunden an Tools, die die Prozesse verbessern werden?
Auch bei den Erstmusterprüfungen lässt sich, was die Dokumentation der Messergebnisse angeht, eine fortschreitende Digitalisierung beobachten. Dazu gehört auch, dass Messergebnisse vom Prüflabor direkt elektronisch in den OEM-Portalen hochgeladen werden. Einerseits ist dieses Vorgehen der direkten Weitergabe für den Automobilzulieferer bequemer. Andererseits bedeutet dieses aber auch eine Gefahr, wenn Abweichungen direkt und ungefiltert als Fehler zum OEM gelangen. Unserer Erfahrung nach ist es in einem derartigen Fall besser und einfacher, wenn Abweichungen zunächst in einem persönlichen Gespräch zwischen Zulieferer und OEM besprochen und bewertet werden.